Computerkunst nach dem integralen Modell
von Rudolf Legde
Creativo ist der Name einer virtuellen Maschine, die Computerkunst herstellt. Sie realisiert das Konzept AQAL-IDEA (All Qualities, All Levels – Integrated Digital Environment Art), in dem ich ein an Ken Wilber orientiertes Integrales Modell der Computerkunst entwickle.
AQAL (engl. all quadrants, all levels) bedeutet, dass ein integrales Modell die Dimensionen der Sichten, Ebenen, Linien, Zustände und Typen umfasst. Die Sichten sind in 4 Quadranten gegliedert. Die Quadranten und die übrigen Dimensionen können je nach Anwendung unterschiedliche Ausprägungen haben. Diese Dimensionen gelten für Holone, die ggf. zu Holarchien geordnet sind.
Holon
Holone sind die wichtigsten Entitäten im AQAL, auch wenn sie nicht zu den Dimensionen gehören. Ein Holon ist sowohl ein Ganzes als auch ein Teil. Die doppelte Natur dieses „Wirklichkeitsbausteins“ sowohl als Ganzes wie auch als Teil eines größeren Ganzen vermeidet die Extreme von Atomismus („nur die Teile sind das Wahre“) und Holismus („nur das Ganze ist das Wahre“). Das verbindende Muster von ineinander geschachtelten Holons finden wir in allen Quadranten. Sie können auch mit den übrigen AQAL-Dimensionen beschrieben werden.
Der Kreis als geometrische Grundform hat bei Creativo eine große Bedeutung, als Linie, als Fläche, als Konstruktionsbestandteil, als Bewegung usw. Durch die Behandlung des Kreises als Holon ergeben sich viele interessante Gestaltungsmöglichkeiten, z. B. Kreisbewegungen von Objekten auf Kreisbewegungen auf Kreisbewegungen …, welche sich selbst während ihrer Bewegung reproduzieren.
Ein anderes Beispiel ist die Berechnung einer Lemniskate durch mehrfache Kreisberechnungen.
(C kreist um um A, D kreist um B, der Mittelpunkt E von CD beschreibt eine Lemniskate).

Der Oszillator als Modell kann in der Computerkunst als kleiner Algorithmus bereitgestellt werden. Als Holon kann der Oszillator z. B. auftauchen in einer oszllierenden Form (z. B. einer Welle) durch oszillierende Farben.
Das Schichtenmodell abstrakter Maschinen, ein Ebenenmodell der Kommunikation und der Informatik, kann man auch auf Kunst übertragen. Eine Möglichkeit ist die Schichtung in Basismaschine, semiotische Ebene, syntaktische Ebene, semantische Ebene, pragmatische Ebene.
Beispiele für die Anwendung der Konzepte des Kreises sind die Bilder „Gekreistes“ und „Wellen“.

Ein Beispiel für das Schichtenmodell ist das Konzept „Zeichen und Symbole“. Diese würde man zunächst der semiotischen Ebene zuordnen, bei genauerer Betrachtung haben sie aber auch Aspekte auf den anderen Ebenen und auch in allen Quadranten. Außerdem kann man Zeichen als einen Aspekt der Linie Gestaltung ansehen. Dieses Modell kann man gut als Holon beschreiben. Beispiele für die Anwendung des Konzeptes „Zeichen und Symbole“ sind die Bilder „Zeichensprache“.

Sichten
Die Dimension Sichten ist nach dem Integralen Modell standardmäßig in 4 Quadranten gegliedert.
Die Quadranten gliedern sich in einer 2×2-Matrix nach Einzahl/Mehrzahl und subjektiv/objektiv. Daraus ergibt sich das Betrachtungsschema ICH (intentional subjektive Sicht, Quadrant oben links), WIR (kulturell intersubjektive Sicht, Quadrant unten links), ES/Einzahl (verhaltensbezogenes objektives System, Quadrant oben rechts) und ES/Mehrzahl (sozial interobjektives System (Quadrant unten rechts).
Motive können allen Quadranten zugeordnet werden. Die Benennung des Werkes durch den Künstler bezieht sich gewöhnlich auf einen Quadranten, bei abstrakten Bildern meist oben links (subjektiv-individuell). Ein Beispiel sind Bilder, die als „floral“ erlebt werden, aber keine konkreten Blumen darstellen. Durch ihr Abstraktionsniveau sind sie eher auf einer höheren Ebene in der Linie „Realitätsbezug“ angesiedelt – vollkommen realistisch wäre ja ganz ohne künstlerische Gestaltung. Beispiele finden sich in den Bildern „Florales“.

Ebene
Ebenen können gebildet werden durch eine Holarchie von Vorlagen, z. B. bearbeitete Fotos, berechnete Bilder usw.
Manche Bilder entstehen aus „Fehlern“ bei der Suche nach einer bestimmten Lösung. „Fehler“ können wir aber auch als eine Art des Zufalls betrachten, und Aleatorik spielt bei der Computerkunst (und nicht nur dort) eine ganz große Rolle. Bei der AQAL-Einordnung sehe ich Aleatorik erst auf den höheren Ebenen, evtl. auch als eigenständige Linie. Im Rahmen der integralen Betrachtung kommt auch immer wieder die Evolution ins Spiel. „Fehler“ gehören wohl zu den treibenden Größen der Evolution. Ein Beispiel, das durch einen Fehler entstanden ist, findet sich in den Bildern „Winterblüten und Rückblicke“ (die „Winterblüten“).

Verfahren der Bildgestaltung kann man Ebenen zuordnen, je nach dem Grad ihrer Evolution (z. B. Mosaizismus). Beispiele für Mosaizismus enthalten mehrere der hier vorgestellten Bilder. Das Konzept ist in einem eigenen Abschnitt beschrieben.
Tweening ist Computerkunst auf einer niedrigen Ebene (Anwendung einer Bildbearbeitungsfunktion). In einem Beispiel wird der allmähliche Übergang von einer Computerkunst-Collage zu ihrem Spiegelbild gezeigt. Beispiel sind die Bilder „Tweening“.

Die Fähigkeit zur Repetition ist eine Schlüsselqualität des Computers und auch eine intensiv genutzte Gestaltungsmöglichkeit von Creativo. Creativo kann durch Repetition Rekursion simulieren und tritt damit auch im Kontext von „Ebenen“ (AQAL) auf. Nach dem Konzept der Ebenen sind diese nicht getrennt voneinander zu verstehen. Höhere Ebenen umfassen die niederen, die in ihnen aufgehen. Beispiele finden sich in den Bildern „Repetition“.
Linie

In der Dimension „Linie“ können z. B. die verschiedenen Arten der bei den Ausgangsbildern verwendeten Techniken (Foto, Mal- und Zeichentechniken, schwächere oder stärkere Bildbearbeitung, Bildkonstruktion) betrachtet werden. Beispiel sind die Bilder „Hybrides “.

Eine Linie (nach AQAL) der Formgestaltung sind wellenförmige Anordnungen, die auch geschachtelt und damit auf verschiedenen Ebenen vorkommen können. Wellen sind eine besonders interessante Spielart der Oszillation. Hier wird auch die Nähe zur Schwarmintelligenz deutlich.
Ich betrachte Computerkunst als eine „Linie“ bei AQAL im Holon „Integrale Kunst“. Tweening wird hier einer niedrigen „Ebene“ bei AQAL zugeordnet. Ob und wie Computerkunst überhaupt als „Kunst“ betrachtet wird, ist eine Frage der „Quadranten“ bei AQAL.
Eine andere Möglichkeit könnte es sein, Computerkunst insgesamt als „Integrale Kunst“ zu betrachten. Die Möglichkeiten des Computers, verschiedene Kunstrichtungen zu simulieren und damit eine beschreibende Landkarte darzustellen, sind fast unbegrenzt.
Wenn mehrer Akteure ihren Weg suchen und dabei aufeinander Bezug nehmen, ergeben sich interessante Strukturen und eine spannende Dynamik, die zum Spielen anregt.
Einfache und auch komplexere Algorithmen werden benutzt, um Wege zu finden (Lokalisation als „Linie“ beim AQAL). Beispiel sind die Bilder „Wege“.

Ein Oszillator ist ein Holon, welches das Oszillierende realisiert. Das Oszillierende ist ein wichtiger Gestaltungsfaktor, für Farben, Formen, Bewegungen usw. Creativo wendet Oszillation an, wenn es um allmähliche Übergänge im Rahmen von Rhythmen geht. Beispiel sind die Bilder „Oszillation“.
Oszillatoren können entsprechend ihrem technischen Reifegrad auf mehreren „Ebenen“ (AQAL) angesiedelt werden und haben entsprechend ihrer technischen Rafinesse „Zustände“ (AQAL). Ich sehe Oszillatoren als „Linie“ (AQAL)
Zustände
Mosaizismus ist eine stark ausgebaute Schlüsseltechnik von Creativo. Diese „Linie“ (AQAL) kann in verschiedenen „Zuständen“ (AQAL) angewendet werden. Die Bausteine des Mosaizismus von Creativo sind Holons im Sinne von AQAL unter verschiedenen Aspekten.
Typ
Beim Thema „Motive“ denke ich auch (neben der Sicht) an die Dimension „Typen“ bei AQAL. Eine Möglichkeit der Typisierung wäre die Unterscheidung der Kunstobjekte nach weiblichem oder männlichem Typ. Beispiel sind die Bilder „Motive“.

Für die Computerkunst kommt den Möglichkeiten der Typisierung durch Farbgestaltung eine besonders große Bedeutung zu. So gibt es z. B. „typisch“ männliche und „typisch“ weibliche Farben bzw. verschiedene „männliche „ oder „weibliche“ Eigenschaften, die den Farben und Farbkombinationen zugeordnet werden können. „Zugeordnet werden können“ bedeutet hier, dass diese Zuordnung natürlich nur statistisch möglich ist und je nach Kulturkreis und Sicht auch variieren kann.
(Farb-)Transformationen sind einer der wichtigsten Gestaltungsfaktoren von Creativo, besonders eindrucksvoll auch dynamisch. So lassen sich z. B. „lebende Standbilder“ erzeugen, besonders eindrucksvoll, wenn sich die Farben über mehrere Ebenen unabhängig voneinander ändern. Gerade die Farbgestaltung bietet vielfältige Möglichkeiten zur Interaktion mit dem Betrachter und ist ein ideales Feld, um Gefühle abstrakt auszudrücken. Beispiel sind die Bilder „Transformationen“.

Durch Transformationen z. B. von Formen und Farben (z. B. innerhalb vorgegebener Grenzen oszillierend) lassen sich „Typen“ (AQAL) generieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass z. B. gewisse Farbkombinationen mehrheitlich mit bestimmten Begriffen (und damit auch Gefühlen) assoziiert werden. Hier könnte man an eine Beschreibung als „Typ“ denken.
AQAL
Oft ist die Beschreibung eines Kunstwerkes unter mehreren AQAL-Aspekten sinnvoll, etwaals Ebene (z. B. durch Schichtung), als Linie (z. B. im erreichten Anspruchsniveau des jeweiligen Parameters, als Typ (z. B. durch Farb- und Formgestaltung), durch die Ansiedlung (schwerpunktmäßig) in unterschiedlichen Quadraten (subjektiv individuell, subjektiv kollektiv, objektiv individuell, objektiv kollektiv) usw.
Die Werke von Creativo sind im engeren Sinn immer hybrid, wenn man sie im Sinne von AQAL betrachtet. Creativo’s Computer Art ist oft hybrid in dem Sinne, dass die Einzelwerke durch Typ-unterschiedlichen Input (z. B. Fotos und berechnete Formen) oder Bearbeitung auf verschiedenen Ebenen (Generierung durch generative Software, Nachbearbeitung mit manipulativer Software) geprägt sind.
Die Bilder des Beispiels „Naturkunstnatur“ zeigt Hybridwerke von Creativo aus Bildbearbeitung, Mosaizismus und Farbtransformation. Die Natur selbst ist manchmal der größte Künstler – hier ist eine Basaltstele in einen Baumstamm eingewachsen. Diese Vorgabe wird durch Bearbeitung anders, künstlicher, interessanter, vielleicht nicht unbedingt schöner. Die Bearbeitung kann den Betrachter dazu bringen, sich mit dem bearbeiteten Gegenstand näher zu befassen.

Werkschau
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Titled EbO

Titled AcI

Titled AbE
